Text von Landesbischof Ralf Meister
„Sei so gut“, sagte meine Mutter, wenn sie uns Kinder um einen Gefallen bat. „Sei so gut und lauf schnell zum Briefkasten. Sei so gut und hol Apfelmus aus dem Keller.“ „Sei so gut“ war die sanfte Form der mütterlichen Anweisung. Oft war besser, wenn man es tat.
Wie wird man gut? Braucht es dafür sanftes Überredungsgeschick oder beschwörende Appelle? Hat das Gute es schwer, weil das Bequeme zu sehr verlockt? Was ist gut? Sind wir überfordert in der Überfülle unserer Eindrücke noch Maßstäbe festzuhalten, um unterscheiden zu können?
„Prüft alles“ setzt voraus, dass zunächst vieles, was uns begegnet, gut sein kann. Die Losung weitet den Blick. Bleibt aufgeschlossen. Begegnet allem mit Aufmerksamkeit. Versucht zu verstehen. Wägt ab. Und wenn es sich als gut erweist, dann behaltet es.
Dahinter steht eine große Bereitschaft zur Toleranz. In einer Zeit, in der alles, was nicht meiner Einstellung oder Meinung entspricht, gnadenlos kommentiert und angepöbelt wird, ist das ein mutiges Wort. Überall sind Menschen am Werk, die die Welt mit Gewalt und lauten Parolen so umbauen wollen, wie es ihren eigenen Idealvorstellungen entspricht. Was ist gut? Was ist böse?
„Prüft alles und das Gute behaltet“ beschreibt eine weltoffene und kritische Sichtweise. Die Welt ist vielfältig. Wer diese Vielfalt prüft, verschließt nicht die Augen, sondern macht sich ein Bild von dem, was und wie andere glauben, leben, lieben. Das kann dauern. Angesichts der medial beschleunigten Urteile bleibt zu erinnern: Geschwindigkeit ist kein Wert, um etwas zu beurteilen. Eine Prüfung zwischen Menschen braucht „Anstand, Takt und Großmut“ (Eva Menasse).
Im Markusevangelium lernen wir diesen Großmut. Als sich Johannes bei Jesus beklagt, dass ein anderer im Namen Jesu Dämonen austreibt und sich die Jüngerschaft gegen dieses Vorgehen wehrt, antwortet Jesus: „Hindert ihn nicht. Denn niemand, der ein Wunder tut in meinem Namen, kann so bald übel von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ (Mk 9,39f)
Stimmen zu sortieren und Worte abzuwägen auf dem Weg zum Urteil braucht den Dialog und die Freiheit, anderes gut sein zu lassen - solange es der Gemeinschaft dient und Freiheit nicht missbraucht für persönliche Interessen.
Alles zu prüfen erscheint unmöglich. Doch was nutzt dem Guten und fragt nicht nach persönlichen Vorlieben oder der Steigerung des eigenen Ansehens? Diese Gesten beginnen im Kleinen. Jesus fährt fort in der Antwort an seine Jünger: „Denn wer euch einen Becher Wasser zu trinken gibt deshalb, weil ihr Christus angehört, wahrlich ich sage euch: Er wird nicht um seinen Lohn kommen.“ Mk 9,41
Ein gesegnetes Jahr 2025 wünscht Ihnen
Ralf Meister