Vortrag in Harpstedt: Wie Werner Fleischer (81) auf Augenhöhe Schüler erreicht
Harpstedt – „Erzähl es mir – und ich werde es vergessen. Zeige es mir – und ich werde mich vielleicht daran erinnern. Beziehe mich ein – und ich werde es verstehen.“ Getreu diesem Leitspruch diskutiert der Logistikunternehmer Werner Fleischer (81) schon im achten Jahr einmal jährlich mit Neunt- und Zehntklässlern des Gymnasiums „Am Steinacker“ in Ganderkesee über den Volkstrauertag. Dabei hegt er die Hoffnung, dass es möglich ist, aus der Geschichte zu lernen.
Das Erste, was er den Schülern zeige, seien zwei Soldatengräber an der Kirche in Ganderkesee, verriet der 81-Jährige am Donnerstagmorgen im Alten Pfarrhaus in Harpstedt, wo ihm innerhalb der Veranstaltungsreihe „Frühstück und mehr“ die Referentenrolle zukam. „Schaut euch die Geburts- und Sterbedaten an!“, fordere er die Jugendlichen auf, die daraufhin oft erschrocken feststellten: „Die waren ja kaum älter als wir!“
Welches Entsetzen das jähe Ende der so früh aus dem Leben geschiedenen Jungen hervorruft, lässt sich unschwer erahnen: „Ein Soldat ist am Ende des Krieges gefallen, der andere hingerichtet worden“, weiß Fleischer. Insbesondere das Schicksal des wegen vermeintlicher Fahnenflucht getöteten Soldaten rüttelt auf: „Er hatte in einer Flakstellung gedient. Der Stationskommandeur sagte ihm, er möge nach Hause gehen; der Krieg sei zu Ende. Weil er keine Uniform mehr tragen wollte, hat er sich etwas zum Anziehen besorgt – bei einem Bauern. Der wiederum hatte nichts Besseres zu tun, als bei der NSDAP anzurufen. Der junge Mann ist verhaftet und einen Tag später im Schießstand erschossen worden.“
Pazifismus? „Eine Utopie“
Im Pazifismus sieht Fleischer nicht viel mehr als eine Utopie. Das Streben nach Frieden, die Verpflichtung dazu, sei gleichwohl „alternativlos“, bekräftigte der selbsterklärte Pragmatiker im Alten Pfarrhaus. Aus Geschichte Lehren ziehen, um Krieg zu vermeiden, der grundsätzlich nur Verlierer kennt – das treibt den 81-Jährigen auch mit Blick in die Ukraine um. Was die Ursachen angeht, glaubt er, dass der Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque ins Schwarze trifft. Dort heißt es an einer Stelle: „Es muss Leute geben, denen der Krieg nützt.“ Das bestätigt indirekt ein geflügeltes Wort des früheren US-Außenministers Henry Kissinger, wonach Amerika „keine dauerhaften Freunde oder Feinde“, sondern „nur Interessen“ habe. „Gilt das nicht auch für Putin und für China?“, hinterfragte Fleischer.
"Es gab Vorgänger, die es in Monologform versucht und vorgelesen haben. Sie waren erstaunt, als sie bemerkten, dass Schüler unter den Tischen mit ihren Handys spielten." Werner Fleischer
In der Überzeugung, dass Dialog besser ist als Verdrängung und kein Weg an der Diskussion mit jungen Menschen vorbei führt, entschied der mehrfache Vater und Opa schon vor Jahren für sich: „Ich fange damit an.“ Er habe durchaus gewusst, auf welche Risiken er sich am Gymnasium Ganderkesee einließ: „Es gab Vorgänger, die es in Monologform versucht und vorgelesen haben. Sie waren erstaunt, als sie bemerkten, dass Schüler unter den Tischen mit ihren Handys spielten.“ Werner Fleischer fuhr nach eigenem Bekunden mit einem anderen Weg sehr viel besser, nämlich „mit einem Dialog auf Augenhöhe“. Alles andere führte letztendlich „zu nichts“, zumal 16- oder 17-Jährige heutzutage oftmals „schon wie Erwachsene denken“.
"Wir müssen miteinander reden, um der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, denn die Wahrheit ist im Krieg immer das erste Opfer." Werner Fleischer
Aus eigenem Erinnern kannte der 81-Jährige nur die Folgen des Krieges. Wichtiger aber sei es, die Ursachen zu ergründen. Sein Wirken als Gastlehrer zum Thema Volkstrauertag im Jahresturnus ließ mehrere Einsichten reifen: „Der Friede muss schon in den Familien beginnen. Veränderung gibt es nur von unten nach oben. Wollen wir das Bewusstsein verändern, müssen wir bei den jungen Leuten anfangen.“ Letzteres sei nicht leicht, zumal die jungen Leute „keinen Krieg selbst erlebt und deshalb auch keinen Bezug mehr zu den Opfern haben“.
Ja, der Volkstrauertag sei nach wie vor von Bedeutung, untermauerte Fleischer. Er diene dazu, „über das Erinnern hinaus an die Ursachen heranzukommen“ und zu verdeutlichen, „dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist“. Nur wer die Vergangenheit kenne, habe eine Zukunft. Und die junge Generation habe ein Recht auf Information, aber eben auch die Pflicht, sich mit kritischem Blick auf die Quellen zu informieren. „Wir müssen miteinander reden, um der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, denn die Wahrheit ist im Krieg immer das erste Opfer“, betonte Fleischer.
Begrüßen würde er ein weltweit einheitliches Datum für das Erinnern und Gedenken, „damit die ganze Welt an diesem einen Tag zur Besinnung kommt“.
Quelle: Kreiszeitung online vom 27.07.2023