Jörg Schafmeyer aus Harpstedt: Warum ein Pastor Bibeln vergräbt
Er kreuzigt Bibeln, mauert sie ein, vergräbt sie: Warum Jörg Schafmeyer, Pastor im Ruhestand, diese Form der Kunst lebt, erzählt der Harpstedter im Gespräch.
Ein Pastor, der Bibeln vergräbt? Was im ersten Moment vielleicht widersprüchlich erscheinen mag, erhält eine tiefe Ebene, wenn Jörg Schafmeyer seine Gründe erklärt. Der Harpstedter hat schon früh begonnen, sich künstlerisch zu betätigen – die Heilige Schrift taucht immer wieder in seinen Werken auf: „Ich arbeite mich an der Bibel ab – sprachlich, ikonographisch, als Objekt oder Performance.“ Verschiedene der Bücher finden sich in seinem Atelier, „gekreuzigt“, eingemauert.
„Vertikale“ entscheidend
Begonnen hat alles sehr früh: „Ich habe lange nicht viel gesprochen“, erinnert sich der 67-Jährige, der zuletzt 18 Jahre in Sulingen als Pastor gearbeitet hat und mittlerweile im Ruhestand ist, an die Anfänge seines künstlerischen Schaffens zurück. Er habe versucht, Wörter zu finden für seine Gefühle und Gedanken, und diese aufgeschrieben, später auch in Bildern festgehalten. Für ihn hängen Sprache und Bilder zusammen: „Ich habe einen sprechenden Beruf, der Ausdruck beim Predigen ist auch nicht auf Wörter beschränkt.“
Seine Kunst orientiert sich häufig an der „Vertikalen“: Er glaube, dass unser Leben sich einerseits in der Horizontalen abspiele – beispielsweise mit den Mitmenschen –, andererseits der Blick auf der Vertikalen nach oben und unten gerichtet ist. Stehe man vor einem Grab, schaue man zwar nach unten, meint aber eigentlich das „Oben“, den Himmel. Er habe als Pastor viele Beerdigungen gehalten. Dabei schaue man in das Grab, spreche aber vom ewigen Leben: „Diese Verbindung von unten und oben fasziniert mich.“
Gräber heilige Orte
So kam er auch dazu, Bibeln zu vergraben: Wenn er dies tue, vollziehe er damit den Weg von Jesus Christus nach, der aus seinem Grab auferstanden ist. Schafmeyer geht es beim Vergraben also nicht um eine Abwertung, ein Entsorgen, sondern um eine Erhöhung. „Wir beerdigen Menschen ja auch nicht, weil wir sie nicht mögen, sondern weil wir sie lieben.“ Gräber seien die letzten heiligen Orte, voller Emotionalität.
Dabei ist für ihn entscheidend, dass der Ort eine besondere Bedeutung hat. So vergrub er Bibeln schon an einstigen Galgenstätten und an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Auch auf dem Gelände der Muna in Dünsen liegt eine Bibel begraben: Dies sei für ihn persönlich ein besonderer Ort. Für den Harpstedter ein wichtiger Punkt: „Kunst braucht eine autobiographische Verdichtung, sonst ist sie nicht authentisch. Sonst sind es nur Techniken, die angewendet werden.“
Und mit der Muna verbindet er ein einprägsames Erlebnis: Gemeinsam mit etwa 100 Leuten, schätzt er, habe er 1983 vor deren Toren gegen dort platzierte amerikanische Atomsprengköpfe demonstriert – einen Tag vor seiner Ordination. „Den Abend im Friesennerz, am nächsten Tag im Talar“, sagt er lächelnd.
Bibel ist unzerstörbar
Ein ganz anderes Projekt, aber auch mit Bibel-Beteiligung, hat er 2021 umgesetzt: „Ein ganzes Neues Testament in Salzlösung“ ist der Titel. Schafmeyer hat ein Neues Testament gekocht, gesalzen und, entsprechend der Anzahl der Bücher im Neuen Testament, in 27 Arzneifläschchen gefüllt. „Sie ist konserviert, aber sie kann nicht mehr gelesen werden. Das passiert, wenn man zu ‚konservativ’ mit der Bibel umgeht“, erklärt der Pastor im Ruhestand.
Die Botschaft hinter all seiner Kunst: Die Bibel kann verarbeitet, vergraben, eingemauert werden – zerstören kann man sie nicht.
Quelle: NWZ ONLINE 24.12.2022 - Von Jana Budde - 24.12.2022