Oder: Was es auf dem Harpstedter Friedhof alles zu entdecken gibt
Harpstedt – Den Harpstedter Friedhof auf eine bloße Ansammlung von Gräbern zu reduzieren, griffe viel zu kurz. Dieser Ort darf durchaus als ein besonderer gelten und lädt dazu ein, mal aus einer anderen Perspektive betrachtet zu werden. Das haben elf Interessierte erkannt, die am Sonntagnachmittag einen geführten Spaziergang bei schönstem Wetter genossen. Friedhofswärter Reinhold Jürgen begrüßte sie. Er sprang für Gästeführerin Martina Möhlmann ein, die unvermittelt „außer Gefecht gesetzt“ worden war.
Die Kapelle, so erfuhr die Gruppe, sei 1959 gebaut und seitdem zweimal erweitert worden. Der Harpstedter Friedhof befand sich bis 1860 bei der Christuskirche, ehe die Kirchengemeinde am Börder Weg einen neuen, großzügig bemessenen anlegte. Der Platz im Umfeld des Gotteshauses reichte damals nicht mehr aus. Obendrein gab es Beschwerden über Verwesungsgeruch. Nicht zuletzt damit erklärt sich die heutige dezentrale Lage des 1861 eingeweihten Friedhofs zwischen Dünsener und Bassumer Straße.
Die Anlage misst etwa fünfeinhalb Hektar und wird als ruhiger, naturnaher Rückzugsort wahrgenommen.
Reinhold Jürgen deutete an, dass der Friedhof sein Gesicht verändert – auch als Ergebnis einer sich wandelnden Beisetzungskultur. Dass der Trend aktuell in Richtung Feuerbestattung geht, lässt schon die recht schnell wachsende Zahl platzsparender Urnengräber erahnen. Als sichtbares Zeichen des Wandels kann ebenso der Friedgarten mit vielen bunten Blumen gelten, der den Teilnehmern imponierte. Mancher von ihnen konnte mit Hinweisen auf beigesetzte Angehörige oder Erläuterungen zur individuellen Grabgestaltung selbst etwas zur Führung beitragen. Eine Frau zeigte sogar ein eigens gestaltetes Fotobuch mit vielen schönen Friedhofsansichten.
Interesse weckten ebenso die Gemeinschaftsgräber mit den stelenartig aufgelisteten Namen. Auch diese Bestattungsform liegt im Trend: Viele Menschen wollen in dieser Form beerdigt werden – aus Kostengründen oder weil sie ihren Kindern die Grabpflege nicht aufbürden möchten. Bei den Gräbern von Kriegsgefallenen aus dem Zweiten Weltkrieg verwies Reinhold Jürgen mit Bedauern auf nicht recherchierte beziehungsweise nicht feststellbare Herkunftsorte.
Der Sternengarten, eine auf Initiative des Hospizvereins realisierte Stätte zum Gedenken an Kinder, die vor, während oder kurz nach der Geburt verstorben sind („Sternenkinder“), faszinierte die Spaziergänger wegen der Ruhe, die diese kleine Idylle mit Beet, Kieselweg, Blumen und Sitzgelegenheit ausstrahlt. Der eigentliche Blickfang, eine kunstvolle Skulptur, scheint dem Himmel entgegen zu streben.
In Familiengräbern, so verriet Jürgen, liege die Frau rechts neben dem Mann. Im Übrigen zeige der Kopf eines Bestatteten für gewöhnlich nach Westen, den Blick also nach Osten gewandt.
Halt machte die Gruppe auch bei der Grabstätte von Pastor Adolf Schulz, den die Nationalsozialisten mit Schikanen und Terror in den Suizid getrieben hatten.
Als weitere Besonderheit erlebten die Spaziergänger die „Steine im Wind“ – einen Ort der Einkehr und Besinnung im Zeichen der Generationen, an dem eingesammelte Grabsteine zeitlich „ausgelaufener“ Grabstellen eine sinnvolle Nachnutzung erfahren.
Schließlich konnten sich die Teilnehmer Einzelgräber anschauen. Die Ruhefrist beträgt übrigens 30 Jahre.
Von Stine Cordes und Jürgen Bohlken
(Quelle: Kreiszeitung Online v. 21.03.2020)