Harpstedt – Anders als in ihrem Herkunftsland, der Schweiz, erlebt die Harpstedter Pastorin Hanna Rucks (36) die Kirche hierzulande. Über die Unterschiede hat unsere Zeitung mit ihr gesprochen.
Frau Rucks, in welchem Umfeld in der Schweiz sind Sie aufgewachsen?
Ich komme gebürtig aus Basel, bin also ein Stadtkind. Ich entstamme weder aus einem besonders kirchenverbundenen noch aus einem extrem kirchenfernen Haushalt. Aufgewachsen bin ich in der Evangelisch-reformierten Gemeinde Basel-Stadt.
Das kirchliche Leben dort ist sicher nicht deckungsgleich mit dem, was Sie hier bei den Lutheranern kennengelernt haben.
Reformatoren wie Calvin, Zwingli und andere haben sich noch weiter vom Katholizismus entfernt als Luther. In der reformierten Kirche in der Schweiz gibt es keine gesungene Liturgie in Gottesdiensten. Beim Abendmahl werden Brot und Wein als ein reines Symbol für den Leib Christi verstanden. Die Hierarchien sind in der Schweiz generell flacher. Und: Die Grenzen der Kantonalkirchen entsprechen denen der Kantone.
„Basel-Stadt“ hat viele Kirchenmitglieder verloren?
Ja. Basel hat einen extremen demografischen Wandel mit mehr Sterbefällen als Geburten erlebt. Zusätzlich vollzog sich ein migrationsbedingter Wandel. Etwa die Hälfte der Grundschulkinder spricht in der mittlerweile sehr internationalen Stadt nicht mehr Deutsch. Wer aus dem Ausland kommt, findet sich oft eben nicht in der reformierten Kantonalkirche wieder. Die Muslime ja ohnehin nicht. Und die Migranten christlichen Glaubens gehen für gewöhnlich in Migrationsgemeinden. Schon vor 20 bis 30 Jahren gab es obendrein eine Kirchenaustrittswelle. Den Übergang von der Volks- zur Mitgliederkirche hat die reformierte Gemeinde Basel-Stadt als Folge ihres starken Mitgliederverlustes vergleichsweise früh vollzogen. Das prägt mich auch irgendwie in der Wahrnehmung der hiesigen Situation ein Stück weit. Ich komme im Übrigen aus einem Umfeld, das sehr bunt war.
Bunt? Inwiefern?
Die deutschsprachige reformierte Kirche in der Schweiz versteht sich als eine bekenntnisfreie. Die Pastoren werden nur auf die Schriften des Alten und Neuen Testamentes ordiniert. Die Bekenntnisfreiheit hat aber vor allem auch zu einem sehr breiten Spektrum theologischer Ansichten geführt – und zu Phänomenen, die man hier wohl Freikirchen zuordnen würde.
Zum Beispiel?
In Basel-Stadt habe ich Segnungsgottesdienste für Haustiere erlebt, eine Basisgemeinde für Schwule und Lesben, sogar Heilungsgottesdienste – oder auch innerhalb der Kantonalkirche unterschiedliche Positionen zu der Frage, ob die Taufe schon im Kindesalter vollzogen werden darf. Ich habe in jungen Jahren eine sehr heterogene Kirche kennengelernt, die mich herausgefordert hat. So musste ich mir etwa Gedanken darüber machen, wie ich Haustiere segnen kann oder was ich von Heilungsgebeten halte. Herausfordernd fand ich ebenso die Beschäftigung mit der Bibelauslegung – etwa, ob die Schöpfungsgeschichte wörtlich zu nehmen sei oder nicht. Als ich als Studentin nach Göttingen kam, habe ich sowohl im Positiven als auch im Negativen wahrgenommen, dass die Lutheraner augenscheinlich durch die Bekenntnisgebundenheit einheitlicher denken. Es gab für mein Empfinden recht wenige Diskussionen und spannende Auseinandersetzungen, aber man war andererseits irgendwie auf einfachere Weise „gemeinsam unterwegs“. Das kannte ich aus der Schweiz so nicht. Dort kam es sogar vor, dass Pastorenschaften wegen ihrer unterschiedlichen Auffassungen über Spiritualität nicht zusammen beten konnten.
Wie kamen Sie und ihr Mann Timo 2014 auf die Pfarrstelle in Harpstedt, die durch den Weggang von Pastor Gunnar Schulz-Achelis vakant wurde?
Die Landeskirche schickte uns hierher. Mein Mann ist Hannoveraner. Zur lutherischen Landeskirche bin ich letztlich durch Heirat gekommen.*
Pflegen Sie noch Kontakte in die alte Heimat?
Ja, ich reise mehrmals im Jahr in die Schweiz. Meine Eltern, meine beiden Geschwister, meine Nichte und enge Freunde leben dort.
Haben Sie die doppelte Staatsbürgerschaft?
Ja. Meine Mutter stammt gebürtig aus Braunschweig und wuchs in Hamburg auf. Als ich 13 war, sind wir im deutschen Konsulat in Basel darauf hingewiesen worden, dass wir Deutsche seien und einen deutschen Pass bräuchten. Zu der Zeit bekamen wir die doppelte Staatsbürgerschaft.
Fühlen Sie sich in Harpstedt wohl?
Ja, man kann hier sehr gut leben, auch als Familie. Ich habe generell die Erfahrung gemacht, dass ich mich wohlfühle, wenn ich mich auf die Menschen einlasse und sie lieben gelernt habe. Das trifft auch für Harpstedt zu.
*Anmerkung der Red. (zu der Frage, ob lutherische Pastoren in Evangelisch-reformierten Gemeinden arbeiten dürfen und umgekehrt): Mit der gegenseitigen Anerkennung der reformierten und lutherischen Kirchen im Zuge der Leuenberger Konkordie von 1973 werden Ordinationen gegenseitig anerkannt.
Kreiszeitung 04.01.2019