Yared Dibaba verzaubert 430 Zuhörer in der Harpstedter Christuskirche
Harpstedt (Kreiszeitung v. 18.05.2017 - von Jürgen Bohlken). Warum die Sprache immer mehr durch Anglizismen verkommt, fragte sich Yared Dibaba. „Snackt Platt!“, ermunterte er am Dienstagabend 430 Besucher in der Harpstedter Christuskirche, sich der „best Sprook vonne Welt“ zu bemächtigen, statt Deutsch mit englischen Modewörtern wie „No-Go“ oder „Must-Have“ zu verunstalten. Das „Wörterbuch“ lieferte er in seinem Programm „Moin tosomen“ gleich mit. Zumindest in Auszügen.
Das Handy avancierte zum „Ackerschnacker“, das Tablet zum „Ackerwischer“ und der „Shitstorm“ zur „steifen Bries mit Schiet“. Der Moderator und Schauspieler vertrat augenzwinkernd, aber beharrlich seine Überzeugung, dass die Wiege des Plattdeutschen eigentlich in seiner äthiopischen Heimat stand. Er sinnierte über Alltagstücken im weiten Feld zwischen Schönheitswahn, nicht telegener Hautfarbe, unhygienischem Saunieren ohne Handtuch mit schmerzhaften Folgen und dem Schaulaufen an der Seite von Promis wie „Barbara S.“ auf dem roten Teppich im Blitzlichtgewitter. Ebenso hinterfragte er stigmatisierende Begriffe wie „Migrationsachtergrund“.
Warum er die niederdeutsche Sprache so möge? Nicht zuletzt auch, weil sich auf Platt nahezu alles aussprechen lasse. Selbst das „Schietwetter“ in plattdeutschen Vorhersagen sei kein Tabu. Tagesschausprecherin Judith Rakers hätte hingegen wohl Konsequenzen zu fürchten, wenn sie verkündete: „Wir kriegen Scheißwetter.“
Der „Harpstedt Soul“ reißt alle mit
Dibaba kam anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Kirchenstiftung nach Harpstedt. Stiftungskuratoriumsmitglied „Manni“ alias Manfred Sander sollte zu Beginn kurz als Übersetzer einspringen. Beim Samtgemeinde-Plattdeutschbeauftragten „Heini“ alias Heinrich Sudmann, der am Weinstand wirbelte, bestellte sich der Wahl-Hamburger und ehemalige Falkenburger zwischenzeitlich ein Wasser – als Notlösung für den nicht verfügbaren stinknormalen Kaffee, den es ja leider auch sonst fast nirgends mehr gebe, wie er bedauerte.
Mit dem Publikum kreierte der selbst erklärte „Entwicklungshelfer“ in Sachen Platt den „Harpstedt Soul“: Zur Melodie von „I need a dollar“ ließ er zunächst die „Mannslüe“ und dann die „Froonslüe“ den Vers „Ik bruk mehr Asche“ singen. Die Herren erwiesen sich als schwach auf der Brust und bekamen daher eine leichtere Aufgabe: Sie sollten nun nur noch „Nee, nee“ als Antwort auf die Titelzeile schmettern, was ihnen – o Wunder – besser gelang.
Gemeinschaftliche Hip-Hopper-Gestik und eine kleine Beatbox-Einlage des Künstlers gesellten sich hinzu. Dem landläufigen Klischee des typischen Farbigen entzog sich Dibaba konsequent – nicht nur wegen seiner kuriosen Vorliebe für Plattdeutsch. Er könne beispielsweise gar nicht Basketball spielen, verriet er: Der Ball und er vertrügen sich nicht. Im Bett, so scherzte er, sei er eine „absolute Flasche“. Schelmisch fragte er eine Zuhörerin: „Wull du dat mol utprobeern?“
Eher nachdenkliche Töne stimmte Dibaba bei einem Exkurs zum Thema Migration und Flüchtlinge an, der in den Appell mündete, „’n beeten mittoföhln“ mit Menschen, die im Bombenhagel ihre Heimat verlassen mussten. „Flüchtlinge“ wollte er sie bewusst nicht nennen. Dieses Wort assoziiere er eher mit Kriminellen, die „sük von'n Acker mokt“, weil sie etwas auf dem Kerbholz haben. „Südländer“ ist ein weiterer Begriff, mit dem der Schauspieler und Moderator so gar nichts anfangen kann. Je nach Herkunft habe dieses Wort doch für jeden Menschen eine andere Bedeutung, konstatierte er. Für einen Hamburger sei vielleicht schon der Delmenhorster oder zumindest der Bayer ein Südländer. „Und für den Südafrikaner bin ich als Äthiopier geradezu nordisch.“
Der Entertainer brauchte mehrere Anläufe, bis er im zweiten Teil des Abends Kostproben aus seinem Buch „Yared Dibaba Ünnerwegens“ lesen konnte. Einmal verhinderte dies eine Zuhörerin, die von den lockeren Plaudereien aus dem Stegreif einfach nicht genug bekommen konnte – und schwärmte: „Du kanns so goot vertelln!“
Musikalisches Lokalkolorit
Dibaba kam sympathisch rüber. Das Publikum erlebte ihn als einen aus ihrer Mitte, der bei aller Popularität auf dem Teppich geblieben ist. Ganz selbstverständlich mischte er sich abschließend unter die Gäste, stand auch gern für das eine oder andere „Selfie“ zur Verfügung, wobei sich mancher womöglich im Stillen gefragt hat, wie er diesen Anglizismus wohl übersetzen würde.
Der Kirchenstiftungskuratoriumsvorsitzende Dieter Claußen dankte Yared Dibaba für den „wunderschönen Abend“, der mit Lokalkolorit begonnen hatte: Der Gospelchor Harpstedt und der Jugendchor „Feelings“ machten eingangs mit gesanglichen Kostroben Lust auf die Aufführung des Pop-Oratoriums „Luther“. Das gleichermaßen emotionale wie fetzige Musical ist am Sonntag, 11. Juni, 17 Uhr, in der Harpstedter Christuskirche zu erleben.
Ideengeber unter den Gästen
Zum Yared-Dibaba-Gastspiel anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Harpstedter Kirchenstiftung begrüßte der Stiftungskuratoriumsvorsitzende Dieter Claußen am Dienstagabend auch den früheren Harpstedter Pastor Gunnar Schulz-Achelis. Auf den aus Hannover angereisten Geistlichen geht die Stiftungsgründungsidee zurück Dank zollte Claußen LzO-Filialleiterin Christina Bitter für das Sponsoring der Landessparkasse (1 500 Euro) sowie Jürgen Hesse und Heinz-Jürgen Grashorn aus der Konzerte-AG der Christusgemeinde für die Bewerbung und Organisation der Veranstaltung zum „Zehnjährigen“, außerdem der Weinstandgrupe um Monika Andres und Rotkreuzlern um Reinholde Lehmhus, die Brezeln in der Kirche anboten. Das Stiftungskapital sei auf aktuell 392 000 Euro angewachsen, so Claußen weiter. Aus Zinserträgen in Höhe von insgesamt rund 38 000 Euro seien bis dato mehr als100 Projekte unterstützt worden, erläuterte Kuratoriumsmitglied Manfred Sander und nannte etliche Beispiele. Die Förderschwerpunkte liegen in den Bereichen Jugendarbeit und Kirchenmusik.
Quelle: Kreiszeitung 18.05.2017